Die Covid-Krise bewältigen und gleichzeitig die Supply Chain auf neue Beine stellen

Die Stahlbranche wird aktuell, wie viele andere, durch die Covid-19-Pandemie stark getroffen. Aktuelle Hilfspakete der Bundesregierung, wie Kurzarbeit und die Befreiung von der Insolvenzantragspflicht, sollen zwar eine weitreichende Pleitewelle am Markt abwenden, stellen jedoch lediglich kurzfristig wirksame Maßnahmen dar. Insbesondere in Anbetracht der neuen Infektionszahlen werden Meinungen laut, dass diese Maßnahmen lediglich einen „Tropfen auf den heißen Stein“ darstellen, die wirtschaftlichen Folgen der Pandemie jedoch nicht grundlegend kompensieren können.

Benedikt Schmidt

Benedikt Schmidt

Ein überaus positives Signal ist die erneute Hervorhebung der Bedeutung der Stahlindustrie in Deutschland und Europa durch die Bundesregierung im Juli mit ihrem „Handlungskonzept Stahl“. Das vorgestellte Konzept ist ein politisches Gesamtkonzept für einen Transformationsprozess der Stahlindustrie mit dem Ziel der Technologieführerschaft für klimafreundliche und innovative Produktionsprozesse bis 2050. Das Papier beschreibt somit einen langfristigen Entwicklungspfad, welches die Rahmenbedingungen für eine Produktion am Standort Deutschland festlegt und damit die Wettbewerbsfähigkeit sicherstellen soll.

Diese Transformation wird nach aktueller Einschätzung insgesamt ca. 30 Milliarden Euro bis 2050 kosten, wovon bereits 10 Milliarden Euro bis 2030 notwendig sind. Dies stellt ein Investitionsvolumen, was die Branche aus eigener Kraft nicht stemmen kann. Somit war die jüngst erfolgte Zusage von Bundeswirtschaftsminister Peter Altmaier, die Investitionen durch öffentliche Zuschüsse übernehmen und die entsprechenden Beschlüsse zeitnah auf den Weg bringen zu wollen, von besonderer Wichtigkeit.

Trotz dieser finanziellen Zusage wird die Transformation kein Selbstläufer und strukturelle Veränderungen sind mehr als überfällig. So sollte die Aufstellung der Supply Chain für die Zeit nach der Pandemie und für die anstehende Transformation schon jetzt grundlegend überprüft werden.

Die Supply Chain für die Transformation vorbereiten

Der Freiheitsgrad bei der Aufstellung der Supply Chain ist dabei abhängig von dem betrachteten Zeithorizont. So ist für das kurzfristige Krisenmanagement und die Vorbereitung für die Zeit nach der Pandemie die bestehende Supply Chain Struktur gegeben, diese sollte jedoch bestmöglich auf die aktuelle Situation eingestellt werden. Ziel dabei ist es, die unter den aktuellen Bedingungen noch am Markt erreichbaren Absatzmengen möglichst kostenoptimal auf das bestehende Produktionsnetzwerk zu verteilen. Durch (vorübergehende) Stilllegung von Aggregaten, einzelner Produktionsrouten oder ganzer Standorte und damit der Bündelung der Restnachfrage auf den kosteneffizientesten Anlagen kann das Unternehmensergebnis positiv beeinflusst werden. Die hier getroffene Einstellung der Supply Chain stellt den Ausgangspunkt für die anstehende Transformation dar.

Bei der langfristigen strategischen Betrachtung hingegen sind der Freiheitsgrad aber auch die Unsicherheiten bei der Gestaltung der Supply Chain für 2050 enorm. Grundlegend dabei ist die Festlegung der zukünftigen Marktpositionierung basierend auf den prognostizierten Marktbedarfen und der erwarteten Wettbewerbssituation. Diese Aufgabe ist per se schon herausfordernd, wird aber aufgrund der neuen politischen Rahmenbedingungen und den noch nicht im industriellen Maßstab ausgetesteten technologischen Lösungen umso schwieriger.

Für das erfolgreiche Bestreiten der Transformation ist diese strategische Betrachtung bereits heute unabdingbar, denn das Ergebnis ist eine auf ein optimiertes Produktportfolio ausgerichtete Supply Chain. Der Zeitraum zwischen der kurzfristigen Einstellung und der langfristigen Aufstellung der Supply Chain ist durch einen Entwicklungspfad zu beschreiben.

Der heute definierte Zielzustand basiert dabei auf den aktuellen Annahmen (politische Rahmenbedingungen, Marktentwicklung, Technologien etc.) und ist entlang des Entwicklungspfades regelmäßig zu überprüfen sowie nachzuschärfen. Die Gegebenheiten werden sich erst entlang des Weges konkretisieren und ein gestärktes ganzheitliches Supply Chain Management kann dabei unterstützen.

Ein ganzheitliches Supply Chain Management installieren

Die immense Aufgabe, die Aufstellung der Supply Chain zu definieren und die Transformation zu begleiten, muss nach unserer Meinung durch eine zentrale Funktion, dem Supply Chain Management, unterstützt werden. Das Supply Chain Management wird in vielen Unternehmen jedoch noch als Logistikabteilung oder Auftragszentrum mit Fokus auf das operative Tagesgeschäft verstanden, während der strategische Aspekt oftmals fehlt.
Um die Aufstellung der Supply Chain angemessen zu begleiten, muss das Supply Chain Management mit entsprechenden Kompetenzen (Fähigkeiten und Befugnisse) und Werkzeugen ausgestattet werden. Die organisatorische Einbettung als zentrale und unabhängige Funktion mit entsprechender Unterstützung des Top-Managements ist dabei ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Die Beherrschung entsprechender Werkzeuge, wie u.a. Tools für die Mengen- und Bestandsplanung, Netzwerksimulationen oder Szenario-Rechnung, ermöglichen die notwendige Professionalisierung.

Fazit

Die aktuellen Hilfspakete der Bundesregierung sowie das langfristige „Handlungskonzept Stahl“ unterstützen die Stahlindustrie und haben eine positive Signalwirkung. Grundsätzliche strukturelle Veränderungen sind aber trotzdem dringend notwendig. Die europäischen Stahlunternehmen müssen ihre Supply Chain Struktur für die Zeit nach der Pandemie und für die anstehende Transformation grundlegend prüfen. Die Bundesregierung wird zwar, nach eigener Aussage, den Veränderungsprozess subventionieren, jedes Stahlunternehmen sollte jedoch seinen individuellen Weg heute schon vorbereiten. Sowohl bei der Krisenbewältigung als auch bei der Begleitung der Transformation kommt unserer Meinung nach der Funktion Supply Chain Management eine neue und zentrale Rolle zu.

Dieser Artikel erschien auf marketSTEEL als Gastkommentar. Hier geht es zum original Artikel.